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Jüdisches Leben
Unter dem Schutz der Grafen ließen sich seit dem Mittelalter Juden in Oettingen nieder. Vor allem nach dem 30jährigen Krieg nahm ihre Zahl stark zu. In Schutzbriefen gewährten ihnen die Grafen Aufenthalt für eine bestimmte Dauer. Außer einzelnen Hofjuden lebten die meisten Oettinger Juden vom Handel mit Vieh, landwirtschaftlichen Gütern, Federn und Altmaterialien oder Pfandgeschäften. Vom zünftischen Handwerk waren sie ausgeschlossen. Durch die Teilung der Stadt entwickelten sich zwei jüdische Gemeinden. Die ansässigen Juden wohnten in der Stadt verteilt, ein jüdisches Viertel gab es nicht.
Ab dem Jahr 1676 bemühten sich die Oettinger Juden darum, eine Gemeinde zu bilden. Sie erwarben ein Anwesen mit Haus und Stadel an zentraler Stelle hinter dem Rathaus. Um 1680 wurde der Stadel in eine Synagoge umgebaut; eine Wohnung für den Rabbiner und seine Familie lag daneben. Mitte des 19. Jahrhunderts betrug die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde 396 Personen: Die alten Räumlichkeiten reichten für die Gottesdienste nicht mehr aus. Ein Neubau der Synagoge wurde geplant und am 30. Dezember 1853 auf dem Grundstück der heutigen Schäfflergasse 1 eingeweiht.
Eine weitere jüdische Einrichtung war die israelitische Volksschule, die von 1824 bis 1930 existierte. Das Schulhaus in der Judengasse, heute Ringgasse 5, umfasste neben den Unterrichtsräumen Rabbiner- und Lehrerwohnung.
Seit 1851 gab es auch einen jüdischen Friedhof in Oettingen, am Ortsende Richtung Lehmingen gelegen, auf dem auch ein Tahara-Haus mit Armenwohnung stand.
Die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung vollzog sich schrittweise. Seit 1813 waren sie zum Führen eines Nachnamens verpflichtet. Außerdem durften sie sich nun im Handwerk oder in der Landwirtschaft betätigen. 1821 lebten in Oettingen 67 sogenannte „Matrikel-Juden“, d.h. mit staatlicher Erlaubnis ansässige Haushaltsvorstände. 1860 schließlich wurde auch das Matrikelsystem abgeschafft.
Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Oettingen ist ohne jüdische Mitbürger kaum vorstellbar. Die Tabakfabrik Michelbacher, der Bankier Steiner, die Textilhändler Badmann, Springer, Heumann, Frohmann und viele andere waren geschätzte Geschäftspartner und Nachbarn. Auf den Viehmärkten mischten sich jiddische Ausdrücke mit dem Rieserischen. Die in Oettingen lebenden Juden waren fest im städtischen Vereinsleben integriert, beispielsweise im Turnverein und in der Freiwilligen Feuerwehr. Mit Max Badmann, Josef Hermann, Max Hermann und Ludwig Gutmann zählten vier Oettinger Juden zu dem Gefallenen des Ersten Weltkrieges.
Der Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft läutete auch in Oettingen die schrittweise Vernichtung der jüdischen Gemeinde ein und die Novemberprogrome des Jahres 1938 (Reichskristallnacht) machten auch vor Oettingen nicht halt. Am Vormittag des 10. November wurde die Synagoge auf Betreiben des Stadtkämmerers unter Anleitung eines Lehrers von den beiden oberen Klassen der Volksschule geplündert, die Ausstattung ist seitdem verloren. Erhalten ist lediglich die Wetterfahne des Gebäudes. Seit November 1938 verliert sich auch die Spur des jüdischen Gemeindearchivs ebenso wie die der Bibliotheken des einst in Oettingen ansässigen Landesrabbiners und der israelitischen Volksschule.
In den darauffolgenden Monaten wurde die Situation der Oettinger Juden immer schwieriger. So wurde beispielsweise noch im November 1938 bekannt gegeben, dass die beiden Oettinger Ärzte künftig keine jüdischen Patienten mehr behandeln dürften. Einigen Oettinger Juden gelang die Ausreise: Das Ehepaar Buckmann wanderte nach Cincinnati aus, Moritz Lamm nach Sao Paulo, die Laubs in die USA. Junge Leute wie Kurt Badmann oder Erich Springer gingen nach Palästina. Etwa 50 Juden verließen zwischen 1933 und 1941 die Stadt, ein Teil von ihnen zog nach Augsburg. Einige der hier gebliebenen Familien wurden 1939 zwangsweise in andere Orte umgesiedelt. Die letzten acht jüdischen Oettinger mussten sich am 1. April 1942 zur Deportation am Oettinger Bahnhof einfinden. Sie wurden von München aus nach Piaski verfrachtet, keiner von ihnen überlebte. Nach 1945 kehrte keiner der ehemals in Oettingen lebenden Juden auf Dauer hierher zurück.